„Großes Potenzial zum Abbau von Diskriminierung“

Im Interview stellt sich Joseph Wilson, BFV-Beauftragter für Diskriminierungsfälle, vor und spricht über seine Arbeit für mehr Toleranz im Fußball.

Im Juni 2021 trat Joseph Wilson seine Tätigkeit als ehrenamtlicher Beauftragter für Diskriminierungsfälle im Berliner Fußball-Verband an. In dieser Position begleitet er die Präventionsangebote des BFV und ist Ansprechperson für betroffene Personen und Vereine (Kontakt möglich unter joseph.wilson@berlinerfv.de) Unterstützt wird er in seiner Arbeit von Ömer Kelesoglu, der ebenfalls ehrenamtlich für den BFV tätig ist.

Im Interview zum Auftakt der Aktionswoche „Kein Platz für Rassismus“ (Infos am Ende des Artikels) spricht Wilson über die ersten Monate beim BFV und Diskriminierung auf den Berliner Fußballplätzen. Zudem gibt er praktische Tipps, wie sich Vereine beim Auftreten von Diskriminierungsfällen verhalten können.

Hallo Joseph, wie ist deine Beziehung zum Berliner Fußball und wie bist du zum BFV gekommen?

Ich bin seit einigen Jahren Spieler beim SFC Friedrichshain in der dritten Herrenmannschaft. Zum BFV bin ich tatsächlich über einen Weg gekommen, den die meisten vermutlich nicht einschlagen: Ich wollte Anfang des Jahres wissen, wann der coronabedingt pausierte Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann und habe dazu in den Amtlichen Mitteilungen nach Hinweisen gesucht. Beim Durchklicken bin ich darauf gestoßen, dass der BFV einen ehrenamtlichen Beauftragten für Diskriminierungsfälle sucht. Da die Stelle gut zu meinem akademischen Hintergrund passt, habe ich mich dann beworben.

Wie sieht dein akademischer Hintergrund aus?

Ich habe zunächst Politikwissenschaften im Bachelor studiert. Zum Ende des Studiums habe ich mich vermehrt mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und auch der AFD auseinandergesetzt. Dabei waren Geschichtsrevisionismus und die Leugnung des Holocausts immer wieder Gegenstand. Da mich die Auseinandersetzung mit den Themen Antisemitismus und Rassismus sehr interessiert, habe ich anschließend einen Master an der Technischen Universität Berlin in Interdisziplinärer Antisemitismusforschung begonnen.

Nimmst du als Spieler Diskriminierung auf den Berliner Fußballplätzen wahr?

Ja leider schon. Es stellt sich dabei allerdings auch die Frage, wann genau fängt eine Diskriminierung an und wann handelt sich es um eine Beleidigung. Die Grenze dazwischen ist nicht immer ganz trennscharf. Zum Glück leben wir in einer Zeit, in der Diskriminierung gesellschaftlich geächtet und sanktioniert wird. Dadurch werden viele diskriminierende Schimpfwörter heute deutlich weniger benutzt als noch in der Vergangenheit. Trotzdem gibt es noch viel zu viel strukturelle Diskriminierung und internalisierte Rassismen – gerade gegenüber Teams oder Vereinen, in denen ein hoher Anteil der Spieler:innen Minderheiten angehört.

Welche Formen der Diskriminierung treten im Fußball am häufigsten auf?

Ich würde sagen Rassismus. Der Tatsache geschuldet, dass Fußball überwiegend von Cis Männern gespielt wird, tritt Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit aber leider auch häufig auf. Ein klassisches Beispiel ist der Ausruf „spielt mal wie echte Männer!“. Das transportiert ein veraltetes Rollenverständnis von Männlichkeit – hier werden männlichen Personen Attribute der Stärke zugeschrieben, während das Weibliche als schwach gesehen wird. Glücklicherweise gibt es aber auch immer mehr Vereine, Teams und auch Einzelpersonen, die sich klar gegen diese Formen der Diskriminierung positionieren und sich mit den betroffenen Menschen solidarisieren.

Du bist seit Sommer 2021 für den BFV ehrenamtlich tätig. Wie sah deine Arbeit in den ersten Monaten aus?

Zu Beginn musste ich mich erstmal mit den Strukturen des BFV vertraut machen. Ich bin dann aber auch schnell in die praktische Arbeit eingestiegen und habe erste gemeinsame Aktionen mit den BFV-Partnern Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und Berlin gegen Nazis begleitet. Dabei ging es vor allem um die Übergabe von Bannern an Berliner Fußballvereine im Rahmen der Positionierungskampagne „Kein Platz für Rassismus“. Mit dem Saisonstart im August begann für mich schließlich meine Kernarbeit, die fachliche Beratung nach Diskriminierungsfällen auf den Sportplätzen.

Wie häufig wirst du wegen Diskriminierungsfällen kontaktiert?

Teilweise kontaktieren mich Vereine direkt, teilweise erfahre ich von solchen Vorfällen durch die Sonderspielberichte, die von den Schiedsrichter:innen angefertigt werden. Aber es wird schon wöchentlich ein neuer Fall bei mir gemeldet.

Welche praktischen Tipps gibst du Vereinen mit auf den Weg, die dich wegen eines Diskriminierungsfalls kontaktieren?

Allgemein ist es wichtig, Schiedsrichter:innen darauf aufmerksam zu machen, wenn es während eines Spiels zu so einem Vorfall kommt. Auch wenn die Unparteiischen eine derartige Situation nicht selbst mitbekommen haben sollten, sind sie dazu angewiesen, diese im Spielbericht zu vermerken, wenn sie ihnen mitgeteilt wurde. Vorfälle die so dokumentiert wurden, können anschließend vom Sportgericht verhandelt werden. Es bietet sich auch an ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen, um möglich frühzeitig Informationen zu sammeln und schriftlich festzuhalten. Darin sollte protokolliert werden, was genau passiert ist und welche Personen involviert waren. Wie im Anschluss weiter verfahren wird, betrachten wir individuell und in Absprache mit der/den betroffenen Person(en) – da gibt es keine Musterlösung. Manche von Diskriminierung betroffene Personen möchten z. B. nicht, dass es zu einer Verhandlung vor dem Sportgericht kommt. In manchen Fällen führen wir im Anschluss einen Sensibilisierungsworkshop mit dem Verein oder dem Team durch, von dem die Diskriminierung ausgeht. In anderen Fällen kann es sinnvoll sein, ein Umgangstraining mit Betroffenen zu machen.

Wie kann der Fußball dazu beitragen, Diskriminierung in der Gesellschaft abzubauen?

Der Fußball bietet einen großes Potenzial, dagegen vorzugehen, weil er einen Querschnitt der Gesellschaft abbildet. Im Fußball kommen Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen zusammen. Unabhängig von Herkunft, Religion oder politischen Ansichten trifft man sich, um gemeinsam Spaß am Sport zu haben. Grundsätzlich sollten vermeintliche Differenzen auf dem Rasen keine Rolle spielen. Wenn es darum geht, Diskriminierung vorzubeugen, müssen aber alle Beteiligten gemeinsam agieren: Wir als Verband können unseren Teil dazu beitragen, indem wir Strukturen vorgeben, den Vereinen Orientierungspunkte liefern und Qualifizierungsangebote für Schiedsrichter:innen, Trainer:innen, Jugendleiter:innen und andere Gruppen schaffen. Für die praktische Umsetzung auf den Plätzen sind aber letztendlich die Vereine zuständig. Diese sollten sich klar positionieren, Diskriminierungsvorfälle melden und Betroffenen Unterstützung anbieten.

Vom 22. bis 28. November 2021 ruft der Berliner Fußball-Verband die Aktionswoche „Kein Platz für Rassismus“ aus. Neben weiteren Übergaben im Rahmen der Bannerkampagne mit den Berliner Fußballvereinen lädt der BFV am Donnerstag, den 25. November zu einem digitalen Dialog mit inhaltlichem Schwerpunkt auf antimuslimischem Rassismus (zur Veranstaltungsankündigung). Zum Abschluss der Aktionswoche soll ein Aktionstag am 28. November bei Türkiyemspor Berlin stattfinden (weitere Informationen folgen).

#Zugespielt: Video-Interview mit Joseph Wilson: