Lieber Jörg, Du bist nun inzwischen seit 38 Jahren Schiedsrichter. Wie bist Du zur Schiedsrichterei gekommen und was begeistert Dich noch heute an diesem Hobby ?
Ich hatte bis zur Jugend bei der BSG Empor Halle/Saale sehr gerne Fußball gespielt, meist als rechter Verteidiger neben dem Libero und dem Vorstopper. Im Frühjahr 1986 verletzte ich mich am Knie bei einem 6:0 Sieg der II. Jugend und der ärztliche Rat war, das Mannschaftspiel zu lassen. Meine Vater überzeugte mich dann recht schnell, einen SR-Lehrgang zu machen und so startete ich im April 1986 mit dem Pfeifen. Ich merkte sehr schnell, dass es eine neue interessante Rolle ist, die Verantwortungsbewußtsein verlangt. Auch wenn ich keine Förderprogramme durchlaufen habe, wie man sie in Berlin mit dem Patenwesen und dem Jugend-Leistungskader kennt, habe ich das Pfeifen sehr schnell als eine Berufung empfunden und die Freude am SR-Sport entdeckt. Diese Freude treibt mich noch heute an, Spiele in der Landesliga zu leiten, obwohl ich manch ehemalige Altergrenze schon hinter mir gelassen habe.
Wie hat sich Dein Werdegang als Schiedsrichter entwickelt und welche prägenden Momente sind Dir in Erinnerung geblieben?
In meinem Heimatkreis Halle/Saale bin ich recht schnell als junger SR in den Herrenbereich (Kreisliga) gekommen. Die ersten Höhepunkte waren die Mitfahrten als Linienrichter in die Bezirksklasse. Im Trabi oder Wartburg ging es zur LSG Ostrau, zu Blau-Weiß Könnern oder zur SV Sennewitz. Wenn es heiß auf den Dorfplätzen war, so entspannt war stets die dritte Halbzeit im Vereinsheim. Gerne erinnere ich mich auch an den 21.Juni 1987, als ich in einem Spiel der Frauen-Bestenermittlung zwischen Motor Halle und Turbine Potsdam (1:0) als LR dabei war. Als ich beruflich nach Berlin wechselte, begann 2003 meine Zeit als SR in der Bezirksliga. Mein erstes Spiel war am 31.08.2003 der Paul-Rusch-Pokal zwischen der SSG Humboldt / Kreisliga B und dem Berliner AK / Oberliga Nord (1:2). Eine unglaublich aufregende Ansetzung, da ich zuvor nie Mannschaften der Oberliga (damals 4. Liga) gepfiffen hatte. 2004 folgte die Einstufung in die Landesliga und 2006 in die Verbandsliga. Sehr aufregend war dann auch die erste Ansetzung als Assistent in der Oberliga-Nord im Waldstadion beim Ludwigsfelder FC gegen FC Schönberg 95 (2:1) mit SR Ralf Böhm am 12.08.2006.
Der ultimative Höhepunkt war dann meine Nominierung zum Berliner Landes-Pokalfinale am 22.08.2020 zwischen der VSG Altglienicke und dem FC Viktoria 89 (6:0) bei SR Denis Waegert. Als vierter Offizieller hatte ich auch mit dieser Aufgabe eine Premiere und lernte fleißig die Auswechsel-Tafel zu bedienen, alle Ersatz-Utensilien bereit zu halten und vor laufenden TV-Kameras eine gute Figur im leeren Jahn-Sportpark zu machen (Die Pandemie hatte alle voll im Griff).
Inzwischen bist Du Schiedsrichter in der Landesliga, was macht aus Deiner Sicht die Besonderheit dieser Liga aus und was für Ziele hast Du noch in Deiner Schiedsrichterkarriere?
Die Landesliga ist ja die Erste, in der in Berlin SR-Teams angesetzt werden. Da fängt es dann für den aufgestiegenen SR an, so richtig Spaß zu machen. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, in der wir als festes Gespann amtieren durften. Das waren unglaublich schöne Zeiten und Erlebnisse mit Daniel (56 gemeinsame Spiele), Sascha (27), Robert (14) und Björn (10) aus meiner LG Treptow. Aber auch jetzt freue ich mich, jedes Wochenende bekannte und neue Gesichter als Assitenten zu haben. Da lernt man sich sehr gut innerhalb der Berliner SR-Gemeinschaft kennen. Als lebensältester Landesliga-Schiri ist es mein Ziel, gesund und fit zu bleiben und noch so lange Spaß zu haben, wie es möglich ist.
Das es in Deutschland einen Schiedsrichtermangel gibt, wurde durch das Jahr des Schiris des DFB erstmals groß thematisiert. Welche Motivation/Message möchtest Du den fußballbegeisterten Menschen in Berlin mitgeben und warum sollten sie auch Schiedsrichter werden?
Diese DFB-Aktion 2023 war schon toll gemacht und kam sogar bei Nicht-Schiedsrichtern an. Das alleine ist ein Erfolg und den kann ich auch auf den Plätzen spüren. Als Leiter der Schiedsrichter-Lehrgemeinschaft Treptow bekomme ich auch viel Feedback von unseren Unparteiischen, die mich sehr gerne mit tollen Kabinen-Fotos aus den untersten Ligen versorgen. Viele Vereine haben verstanden, dass SR dazugehören und bereiten ihnen einen sehr schönen Empfang in der SR-Kabine. Natürlich sind SR gegenüber Spielern in der Minderheit. Aber jeder Spieler kann ein guter SR werden. Viele Außenstehende wissen gar nicht, dass die Berliner SR sehr gut organisiert sind und ihre Gemeinschaft schätzen und Kameradschaft leben. Da lade ich alle ein, mal zu unseren Lehrabenden zu kommen oder zur Meisterschaft der Berliner SR und deren Festveranstaltung (Regely-Turnier). Wir sind sehr fröhliche Menschen. So gar unsere Frauen kommen gerne zu solchen Höhenpunkten mit und sie interessieren sich nicht immer für Fußball und schon gar nicht für Abseits.
Du lieber Jörg, bist Leiter der Lehrgemeinschaft Treptow. Für alle unter uns, die noch keine Schiedsrichter sind: Was ist denn eine Lehrgemeinschaft und was für eine Rolle spielt sie für die Schiedsrichterei in Berlin?
Die Lehrgemeinschaft ist die Heimat der SR im Stadtbezirk. Dort treffen sich alle Schiris monatlich zu ihren Lehrabenden, besprechen aktuelle Themen, schauen sich Videos an und bilden sich weiter. Das Kameradschaftliche kommt nicht zu kurz, schließlich ist der Austausch mit Gleichgesinnten wichtig. Neben der Weiterbildung organisieren viele Lehrgemeinschaften tolle Veranstaltungen für ihre Schiedsrichter wie Weihnachtsfeiern, Stadionbesuche, Ausflüge, Bowling-Abende und das SR-Training.
Wenn ein SR weiterkommen und aufsteigen möchte, dann sind die Besuche die Lehrgemeinschaften auch verpflichtend. Bei der jährlichen Berliner Meisterschaft der SR spielen die Lehrgemeinschaften ihren Champion beim Regely-Turnier aus.
Für Neulinge sind die Lehrgemeinschaften die Willkommensklasse und begleiten den Anwärter bei seinen ersten drei Spielen in einer Patenschaft.